Dienstag, 6. November 2012
22. FERRY-TALE
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. . . Gegen Drei Uhr in der Nacht fahren wir auf einen Rastplatz der kaum besucht ist. In dem relativ kleinen Tankstellenkiosk bediene ich einen der Kaffeeautomaten mit einem Segafredo-Espressoauftrag, der hier trotz überteuerter Autobahnpreise nur noch 1,20 ? kostet und in einem viel zu grossen Pappbecher erst einmal gesucht sein will.( Ist der verzaubert und frisst in wirklichkeit gern Löwenzahn?). Eine viertelstunde später geht es weiter. Die Kegelgesellschaft vor mir hat ihren "PUNK" zum Glück schon bald nach dem Start und dem Ende des Spumante eingestellt und ist ruhiger geworden, genauso wie die vielen Reihen hinter mir, von denen man nur beim Aus- und Einsteigen etwas mitbekommt. Über die A10 kommend erreichen wir dann um 6:22 MEZ die Hafenanlagen der P&O-Fährschiffe von Calais an Frankreichs Normandieküste.

Mit den sogenannten offenen Grenzen ist das, wie bei der Fahrt nach Portugal, auch hier nur ein Gerücht. Zuersteinmal müssen wir alle den Bus verlassen und durch ein Schaafsgatter zur Pass bzw. Ausweiskontrolle. Bus und Fahrgäste kommen sozusagen getrennt voneinander über die Französich-Englische Grenze. Danach dürfen alle wieder einsteigen. Im "Morgengrauen" wird der Bus über das Zufahrts- und Warteplatzwirrwarr in Richtung Terminal 9 geleitet. Hier müssen wir noch auf einer Wartespur hinter anderen Bussen und neben PKW's und Carawans eine viertel Stunde warten, bis alle Fahrzeuge der angekommenen Fähre von Dover das Schiff verlassen haben und unsere Parkspur die Freigabe zum Befahren der Rampe bekommt. Daraufhin
fährt unser Bus auf Deck 8C der "SPIRIT OF BRITAIN". Wir müssen alle aussteigen und einen engen, in der Mitte befindlichen weiss gestrichenen Stahlblechflur die Treppen über mehrere Etagen nach oben. Dort gibt es über das ganze Deck verteilt verschiedene Aufenthaltsbereiche.

Da allen Fahrgästen jetzt der Sinn nach Frühstück steht, ist ersteinmal Wartezeit an den entsprechenden Tresen einzuplanen. Ich habe mich in der sogenannten "Familly-Lounge" eingefunden (ob ich hier wohl richtig bin - als Einzelgänger?) und stelle beim studieren der Frühstücksspeisekarte fest, dass deren Auswahl alles andere als königlich ist. Der Umfang des Angebots wurde intelligent erweitert, indem für jedes angebotene Heissgetränk gleich drei verschiedene Mengen- und Preisangaben die Informationstafel bedecken. Der "Spirit" of Britain scheint inzwischen auch von mir Besitz ergriffen zu haben, denn ich entschliesse mich kurzfristig, nicht für einen voraberträumten französischen Milchkaffee, sondern für eine Tasse Earl Grey-Tee im grossen COSTA CAFE-Pappbecher. Auch das erträumte frische Croissant ist nirgens zu sehen. Stattdessen gibt es eine umfangreiche Pallette an Muffin's. Ich entscheide mich für einen Lemon-Muffin in leichter Übergrösse. Der Kellner, dem die Frohnatur eines englischen Billardspielers vom Sportkanal aus dem Gesicht schaut, weist mich auf ein Spezialangebot hin, bei dem ich mich Preis-Leistungsmässig besser stellen würde, wenn ich statt des kleinen, einen mittlerenen Becher Tee, also mindestens doppelte Tasse, zum Muffin nehmen würde (Hee-Schubiduu-Koiffizient?). Ich bin schnell überzeugt und froh, dass man hier auf dem Schiff, wahlweise in EURO oder englischen Pfund bezahlen kann. Daher bezahle ich meine 3,80 in Euro, um mein Shoppinggeld in Pfund noch ein wenig zu sparen. Wegen des günstigeren Kurses hatte ich bereits einen Tag vorher 102 Euro in 85 englische Pfund gewechselt. Mit meinem Tablett suche ich mir vorn am Fenster der Steuerbordseite (also Rechts) einen freien Sessel. Zu meinem Schwarztee ziehe ich noch ein paar Brötchenhälften mit Salami und Käse aus meiner Tasche und geniesse die Gemütlichkeit und die gedrosselte Luxuriösität. . . (FORTSETZUNG FOLGT)

(07.11.)
. . . Inzwischen haben wir mit dem Passieren der englischen Grenze auch die unsichtbare Zeitzone gewechselt; und aus den deutschen 7:00 Uhr MEZ sind jetzt 6:00 Uhr brittischer Zeit geworden. Um 6:40 legt die "SPIRIT OF BRITAIN" ab, indem sie zurücksetzt, dreht und das Hafenbecken von Calais verlässt. Nach den letzten Tagen des veregneten heimischen Oktober scheint die seit gestern Abend kurzfristig einberufene wolkenfreie Zone sich bis London zu erstrecken. Es ist ein klarer Himmel über dem Ärmelkanal mit einer morgentlichen Temperatur von circa 8° Celsius. In Richtung zurückliegender Kaianlagen ist gerade die Sonne aufgegangen und sorgt im Bereich der Stratosphäre für einen pastelligen Farbverlauf durch den Spektralbereich, indem der Himmel direkt über uns zartblau ist und in Richtung Westen über verwaschenes Gelb, blasses Orange und Homerscher Rosenfingrigkeit bis zum bedrohlichen Violett über dem Horizont von England verläuft, als ob einer gelangweilten himmlischen Putte der Sinn nach Turnerschem Aquarellpinsel stand. Über diesen delikaten Farbverlauf versuchen jetzt noch mehrere Piloten der Warteschleife des Londoner Flughafen ihre Kandinskysche Kreativität mit einzubringen, indem sie über den dunklen Bereich in der Tiefe ein paar leuchtend orange-gelbe Linien mit ihren von der Sonne beschienenen Kondensstreifen ziehen. Auwei - meine Vernisage Erfahrenen, ob man das wohl verkaufen kann?
Beim Zurückblicken entdecke ich, dass Calais direkt an den Fährhafen anschliessend einen auffallend schönen Sandstrand hat, den vom Ort sich entfernend kaum Architektur zu stören scheint, sondern allmählich in Naturstrand übergeht und zum Strandwandern einlädt. Ein Badeort der ernsthaft zu empfehlen zu sein scheint und, wenn man mitdem Bus an die zubetonierte verwirrende Terminalanlage heranfährt, gar nicht vermutet, sondern erst beim Verlassen des Hafens vom Fährschiff aus entdeckt. Auch ein Tagesausflug nach London könnte relativ unproblematisch mit der Fähranbindung und einer Busverbindung von und nach Dover sein. Obwohl ich zugeben muss, dass der Gedanke, als Fussgänger in diesem Zufahrtsstrassenwirrwarr den Weg auf's Schiff zu finden, nicht gerade einladend ist und man auch nicht einen einzigen Passagier das Schiff zu Fuss hat betreten oder verlassen seh'n. Das einzige das mir in diesem Zusammenhang auffiel war, dass ein einsamer Fahrradfahrer im morgentlichen Halbdunkel mit seinem Schlafsackbepackten Rennrad zielstrebig einem weissen Linien und Pfeilechaos folgend dem französischen Landesinneren entgegen fuhr.

Mitschiffs-voraus ist schon bald nach dem Ablegen der weisse Küstenstreifen der Kalkfelsen des englischen Dover zu sehen, der durch den dunklen Bewuchs noch verstärkt gegen den Himmel und die dunkle See abgesetzt ist. Nach meinem Frühstück, das zwar nicht dem internationalen "Intercontinental"-Hotelstandard entsprach; und das bekannte Frühstück "Intercontinental" hört sich ja auch nur nach der ersten Hotelnacht im Leben beeindruckend an; entpuppt sich aber umgehen als : zwei landestüpische Brötchen mit Scheibe Wurst und Scheibe Käse und zwei kleinen Plastiknäpfchen mit Honig und Marmelade plus der zu wählenden Tasse Heissgetränk. Meins entspricht mehr der Buffet-Spezialversion für Grundsicherungsemfänger (Bezeichnung für Sozialhilfeemfänger im Jahr 2011) inclusive besserer Aussicht. "So gestärkt..." wäre eigentlich die falsche Formulierung; "Dem inneren Schweinehund zur beruhigung'n Fressnapf gemacht..." träfe eher die Wahrheit,für den Beginn des nächsten Satzes. Nachdem ich also den "Baskerville" in mir unter Kontrolle gebracht hatte, zog mich die Neugier aus dem Sessel und ich machte mich auf den Weg , das Deck 8 ein bisschen zu erkunden. Ich ging also dieses langgezogene rechteckige Stockwerk von Vorn nach Hinten durch, wobei nicht auf Anhieb zu erkennen war, was Vorn und Hinten ist und auch zur Seite nach draussen geblickt erkannte man nicht auf Anhieb, in welche Richtung welches Land liegt und die Höhe des Deck liess nicht auf Anhieb mit Blick auf's Wasser die Fahrtrichtung erkennen. Es war also durchaus erforderlich, um exakt die Richtung des Schiffs angeben zu können, dass man sich von den Beschilderungen der Grafikabteilung anweisen liess. . . (FORTSETZUNG FOLGT)

(08.11.)
. . . Dass das dann auch ein problematisches Unterfangen werden kann, hat jeder schon einmal kennengelernt, spätestens dann, wenn er in der Öffentlichkeit eine Toilette sucht; die grundsätzliche Beschilderung überhaupt ersteinmal entdeckt hat, dann mit Hilfe dieser Wegweiser auch dort gelandet ist, wo er hinwollte; Bahnhofsbeschilderungen können einen da auch mal aus dem Gebäude führen und einen buchstäblich im Regen stehen lassen. Wenn man in so einer Situation also tatsächlich das sogenannte Stille Örtchen gefunden hat, kann man nur noch hoffen, dass die Kreativität unseres Artdirektor sich im Zaum hielt, denn auch jetzt, meine Roulettischerfahrenen, ist noch nicht gewährleistet, ob auf Anhieb sicher zu erkennen ist, welche der zwei Möglichkeiten ein Männlein darstellt und welches Gretel ist. Hier an Bord ist das aber zum Glück alles recht übersichtlich, vorausgesetzt die Englischkenntnisse sind nicht gleich Null (-: Auf beiden Seiten des Deck verbindet ein langer Gang die einzelnen Bereiche. Ich gehe den Gang meiner Frühstücksseite entlang, zur linken Fensterseite befinden sich immerwieder schmale Sitzecken mit Sofas, Sesseln und einer sprichwörtlich lederbezogenen Fensterbank. Zur Rechten wechseln Wände mit Werbepostern, hinter denen sich Räumlichkeiten für Küche oder Personal befinden mit Serviceräumlichkeiten wie zum Beispiel einem Wechselschalter für das Deviesengeschäft, wo jetzt einige ihre Euro in britische Pfund wechseln. Nach einem Verbindungsgang, der die beiden langen Seitengänge verbindet und wo man auch zu den Toiletten und den Treppen der anderen Decks findet, die aber, ausser dem Neunten mit dem Selbstbedienungsrestaurant, fast ausschliesslich für Fahrzeuge und daher während der Fahrt gesperrt sind, kommt ein grösserer Einkaufsbereich, der sich dadurch auszeichnet, dass er vorallem auf Kunden eingestellt ist, die zollfrei einkaufen wollen. Das bedeutet, dass er die Regale umfangreich mit Whiskysorten, Parfüms und sonstigen Shoppingpassagenartikeln gefüllt hat. Grundsicherungsemfänger mit Tankstellenkioskerfahrung wie ich, laufen hier etwas verloren rum. Es sind eher busineserprobte Gutbetuchte mit röhrenendstufenmässig schwach leuchtender Schnapsnase oder junge Damen vom Typ Paris-Hotel Moddel, deren Gage vom Buchen des EUROSTAR abrät, hier anzutreffen. Man vertreibt sich die Zeit sich die Zeit der Überfahrt damit, zwischen den Regalen verträumt Modeschmuck und andere Assesoaires nacheinander an-, aus-, oder durchzubrobieren. Am Ende des Korridor verbindet nocheinmal eine breite Lounge mit Sesseln, in die Runde gezogene Sofas und eine Bar den hinteren Bereich, ähnlich der vorderen Frühstücksecke. Schilder weisen darauf hin, dass man von einer art Windfang durch zwei Türen auf das hintere Aussendeck kommt. Hier treffen sich, wie nicht anders zu erwarten, die ersten Raucher und Digitalkamerasüchtigen zur ersten Zigarette und zum ersten Schuss. Hier draussen, mit dem Blick zurück zum Sonnenaufgang über Cälais und in die beiden Richtungen des Ärmelkanal, sieht man erst was für ein Verkehr hier schon herscht, da vorher das Halbdunkel des Morgen und die in den Fenster spiegelnde Loungebeleuchtung einen sicheren Blick an den Horizont verwehrte. In beiden Richtungen bilden grössere Kontainerschiffe und kleinere Transportschiffe des Küstenbereichs zwei Linien auf einer Bundesstrasse und fahren jeweils im Abstand von einigen Hundert Metern nach Osten und Westen; und man erahnt das präziese Timing unseres Kapitän, mit dem er den optimal sicheren Durchschlupf durch diese Gänsemärsche findet. Um in die Fahrtrichtung sehen zu können, muss man ganz an den Rand der Reeling. Auch wenn man es inzwischen schon oft, von der Schulzeit bis zum abendlichen Fernsehn beschrieben und wiederholt bekommen hat, staunt man doch ein wenig, wie schneeweiss von der Morgensonne angestrahlt die berühmten Kreidefelsen von Dover leuchten und zusehens mehr sich vor dem Bug auftürmen und darauf hinweisen, dass es bald Zeit wird, sich wieder in Richtung Parkdeck zu begeben.

Circa zehn Kilometer östlich von Dover fällt ein kleiner Küstenort auf, der an einem schrägen Hang in einer angedeuteten Bucht liegt und mit seinen Ferienzimmern anscheinend auf das perfekteste geeignet ist, um Sonnenaufgänge über dem Meer zu studieren, fotografieren, aquarellieren, oder sich sonstirgendwie manisch-künstlerisch mit diesen minütlich sich verändernden difusen Helligkeits- und Farbnuancen der französischen Impressionistenrichtung auseinanderzusetzen. Ich versuche noch schnell unauffällig auffällig das eine und andere Hustenbonbon ins Wasser zu spucken und frage mich, wie tief es wohl sinken mag und ob dieser Räucherstäbchengruss überhaubt bei den Fischen ankommt. Bei fünfzig Zentimeter Tiefgang des heimischen Flusses, wo man jede Reaktion der Fische in der Nähe beobachten kann, macht das ja spass. Hier hat man aber bei dem Gefühl der bodenlosen Tiefe der See eher den Eindruck, man rotzt keinen parfümierten "Lachsjäger" in Richtung Fische, sondern eine klebrige Kräutermischung in'ner Flaschenpost in Richtung Exoplaneten - irgendwie so sinnlos. Mein innerer Vogelflugdeuter behauptet aber, dass von seiten ein paar Möwen unmissverständlich signalisiert worden wäre, dass die ersten Kiemenatmer bereits darauf aufmerksam geworden wären. Wer's glaubt wird seelig.

Eine weibliche Lautsprecherstimme hat inzwischen über das sogenannte "Tannoy-System", wie man international diese verketteten Deckenlautsprecher nennt, informiert, dass wir in kürze anlegen und uns in Richtung der Treppenkorridore begeben sollen, die jetzt wieder geöffnet werden, damit alle Passagiere sich in ihre Fahrzeuge auf den entsprechenden Decks begeben können. Auf dem Parkdeck für Busse, LKW's und Carawans suche ich unser Busdesign und finde dann auch sogleich die erwartungsvolle Gemütlichkeit meines Sitzplatzes im supermodernen Dreiachser wieder. Um 8:15 Uhr englischer Zeit verlassen wir die Terminals von Dover und fahren hangaufwärts auf einem breiten Zubringer in Richtung London zum "Shoppingsamstag", das wir laut Schild auf der M20 in 55 km erreichen sollen. . .
ENDE

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